An der Tischkante gestoßen oder beim Apfelschälen die Haut angeritzt – bei älteren Menschen verheilen kleine Wunden nicht unbedingt auf die Schnelle. Woran liegt das und was kann man tun?
Vorsicht bei Wunden im Alter
Gießen/Berlin (dpa/tmn) – «Heile, heile Gänschen» mag helfen, wenn Kinder sich die Knie aufgeschrammt haben. Wunden bei älteren Menschen gehen dagegen nicht schnell mit einem Pusten wieder weg. Manchmal werden sie sogar chronisch.
Hier sollte man besonders gut hinschauen, sagt Steffen Schirmer von der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung (DGfW). Im Interview erklärt er, was ältere Menschen und ihre Angehörigen über Wunden wissen sollten.
Wieso sind Wunden vor allem bei älteren Menschen ein Problem?
Steffen Schirmer: Im Alter werden Zellaktivitäten und Stoffwechselvorgänge langsamer. Das heißt, dass sich geschädigte Zellen nicht mehr so gut regenerieren, Wunden heilen also langsamer.
Die Zellverbindungen sind nicht mehr so kräftig ausgebildet. Das Bindegewebe verliert an Elastizität, die Haut ist nicht mehr so robust, etwa bei Druck oder Reibung. Man sieht es ja auch: die Haut wird faltig. Der Hautmantel ist im Alter deutlich anfälliger für Verletzungen oder Infektionen.
Leiden alte Menschen an Herzschwäche, ist der Blutkreislauf gestört und die Beine können anschwellen. Dort kann es dann Risse in der Haut geben, Bakterien können eindringen und Infektionen verursachen. Außerdem waren ältere Menschen schon in höherem Maß den schädlichen UV-Strahlen der Sonne ausgesetzt, was ebenfalls die Hautqualität verschlechtert.
Oft ist auch ein Problem, dass alte Menschen Blutgerinnungshemmer einnehmen. Bagatellverletzungen durch ein Stoßen oder Aufschürfen bluten dann häufig lange. Manchmal blutet es auch unter der Haut ein, das gibt dunkle Flecken, die auch schon zu Wunden führen können.
Wie versorgt man Wunden am besten?
Schirmer: Am besten deckt man eine frische Wunde mit einer sterilen Kompresse oder einem Pflaster ab, man kann sie auch mit Kochsalzlösung oder Wundantiseptika reinigen. Wenn es längerfristig blutet, sollte man natürlich in eine Notaufnahme gehen. Dort kann die Blutung gestillt und die Wunde gegebenenfalls vernäht werden.
Manchmal wird allerdings zu Hause nur ein Pflaster draufgemacht und die Wunde wird vergessen – nach dem Motto: «Früher ist das ja auch einfach wieder weggegangen». Doch eine Wunde sollte man beobachten, denn wenn sie rot und warm wird und die Umgebung anschwillt, sind das Zeichen einer bakteriellen Entzündung. Damit sollte man auf jeden Fall zum Arzt.
Zu welchem Arzt geht man denn mit einer Wunde am besten?
Schirmer: Auf jeden Fall ist der Hausarzt die erste Anlaufstelle. In einer älter werdenden Gesellschaft muss aber noch viel mehr sensibilisiert werden: dass nicht nur eine teure Wundauflage verschrieben, sondern auch mit entsprechender Nachsorge geschaut wird, dass alles gut abheilt.
Ist eine Wunde nach acht Wochen noch nicht verheilt, bezeichnet man sie als chronisch. Dann muss man als Arzt genauer hinschauen: Steckt nicht erkannte Diabetes dahinter, gibt es eine Durchblutungsstörung? Denn chronische Wunden treten vor allem bei Menschen mit einer chronischen Erkrankung auf. Es kann auch ein Hautkrebs sein, wenn Wunden nicht abheilen.
Kann ein chronisch Erkrankter chronischen Wunden vorbeugen?
Schirmer: Die gravierendsten chronischen Wunden sind zum einen an den Füßen vieler Diabetiker und zum anderen Druckgeschwüre bei bettlägerigen Patienten. Um dem vorzubeugen, ist immer wieder wichtig, die Haut genau anzusehen: Gibt es Veränderungen? Sind da Stellen, die nach längerem Gehen, Stehen oder Sitzen Rötungen zeigen?
Das sind oft maximal belastete Hautareale, die auch schlechter durchblutet sind. Diabetologen können mit Druckmessungen ebenfalls solche Stellen herausfinden. Diese müssen dann entlastet werden. Das geht zum Beispiel durch spezielle Schuhe oder Sohlen, die gefährdete Stellen polstern oder sogar ganz vom Druck befreien.
Auch Hautpflege mit Cremes ist gerade für Diabetiker wichtig: Die Haut darf nicht austrocknen, vor allem nicht an den Füßen. Hier kann zum Beispiel fachgerechte Pflege beim Podologen verordnet werden. Beim diabetischen Fußsyndrom sind die Nerven geschädigt, unter anderem werden dadurch auch die Talg- und Schweißdrüsen funktionsunfähig und Schmerzen werden nicht mehr wahrgenommen.
Was fördert denn bei alten Menschen generell die Wundheilung?
Schirmer: Bewegung und ein gesundes Herz-Kreislauf-System sind immer von Vorteil. Eine ausgewogene Ernährung ist wichtig. Viele alte Menschen sind minderernährt, sie essen zu wenig Eiweiße, die sie aber gerade für Zellregenerationsprozesse brauchen. Bei chronischen Wunden wird übrigens auch über die Wundflüssigkeit Eiweiß verloren.
Wer offene Wunden hat, verliert mehr Kalorien und Energie. Weil vielen Älteren aber der Appetit fehlt, kann man zum Beispiel eiweißreiche Drinks zu sich nehmen.
ZUR PERSON: Steffen Schirmer ist Chefarzt der Abteilung für Plastische Chirurgie im Sankt Marien-Krankenhaus Berlin und Leiter des Ressorts Versorgungskonzepte bei der DGfW.
Quelle: dpa